Corona – Was können wir daraus lernen?

Es gibt keine ‘Corona-Krise’, sondern eine Krise unserer Gesellschaft, in vielen Teilen.

Die gute Nachricht vorab: Wir Menschen lernen in jedem Alter, wenn etwas bedeutsam ist. Es werden die emotionalen Zentren aktiviert, denn die Lernerfahrung wird mit Gefühlen verknüpft, ansonsten vergessen wir das Gelernte wieder leicht. Dies unterscheidet den Menschen von anderen sozial lebenden Säugetieren, auch wenn der Mensch zuerst durch die direkte Vermittlung, durch Ausprobieren, Nachmachen und über die Sprache beginnt zu lernen.

Wie können wir also aus einer Krise lernen? Wer jetzt vermutet, hier werden Verschwörungstheorien, Rechtes oder Linkes Gedankengut verbreitet, der wird leider enttäuscht sein. Auch wird hier nicht für oder gegen Masken argumentiert, noch geht es um die Krankheit COVID-19 selbst. Sondern, es geht um den Blick auf unser Zusammenleben und wie wir in der Mitte unserer Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft und in der Bildung daraus etwas lernen können – wenn wir es denn nur könnten. Blicken wir nun hinter die Kulissen!

Nach Corona – die Welt ist eine Andere

Bereits am 16. März 2020 veröffentlichte Matthias Horx – Trend- und Zukunftsforscher, Publizist und Visionär – einen Artikel: 48 – Die Welt nach Corona (Link), wo er in einer rückblickenden Vorausschau aus der Sicht im Herbst 2020 den Blick zurückwirft auf den März 2020 und staunt, was wir alles in kurzer Zeit gelernt und geändert haben: Die Welt ist eine Andere – Ängste wurden überwunden, lang aufgeschobene Entscheidungen wurden und werden umgesetzt, Neues Denken zieht in die Wirtschaft und Politik ein, die Erde, die Lebewesen stehen im Mittelpunkt, … 

Fantastisch! Ist dies etwa wirklich so einfach? 

Ein Rückblick in die Zeit vor Corona

Wir Menschen sind sozial lebende Wesen und sind durch unsere Erziehung, Erfahrungen und Ziele in der aktuellen Gesellschaft so konditioniert, so dass sich viele von uns immer mehr auf der Autobahn der Gewinnmaximierung und des Konsums bewegen. Die Strategien von gestern haben uns zwar auf den Mond gebracht, auch gab es lange Friedenszeiten in einigen Teilen der Welt, vor allem haben sie uns eine Welt des Luxus und der Bequemlichkeit beschert. 

Die deutsche Wirtschaft bricht immer weitere Rekorde, teils durch Outsourcing, denn in China wird schließlich günstig gefertigt, auch wenn damit die Transportkosten per Schiff und Flugzeug noch dazu kommen. Unmerklich wird zwar die Digitalisierung verschlafen, dennoch Umsatz- und Ertragszahlen sind gut – noch nie ging es Deutschland so gut wie eben, noch nie flogen sie viele Flugzeuge um den Erdball.

Wir haben Bildung optimiert, in dem wir bereits in der Kita anfangen den Übertritt auf das Gymnasium zu organisieren. Das Wort Stress wird weniger mit Materialprüfungen in Zusammenhang gebracht als mit fatalen Folgen bei Menschen und wir staunen, wenn viele junge Menschen nicht wissen, was sie nach der Schule machen wollen, sondern nur einige wenige eine Berufung gefunden haben und dies engagiert angehen. 

Einerseits fordern schon seit Jahren Wirtschaftsverbände klare Verbesserungen an Schulen, andererseits sehen eine Reihe von Weiterforschenden und Initiativen die Schule im letzten Jahrhundert als stecken geblieben und wollen Schule grundlegend verändern. Das Buch von Michael Winterhoff: “Deutschland verdummt“ zeigt die Zerrissenheit in der Bildung auf. Schulen, Lehrpäne wurden geändert, aber nicht das Konzept.

Wir haben mit Hilfe der Politik die Pflegeeinrichtungen rationalisiert, reduzieren das Menschenwohl wie das Tierwohl zum Objekt, so dass kein Zweifel mehr aufkommt: “Wir haben alles im Griff.” Die Klinikschließungen vor Jahren und Skandale in Pflegeeinrichtungen sind unmerklich an uns vorbeigegangen, auch wenn sie auf Kosten der Patienten und der Belegschaft gingen. 

Wir haben zentralistische Schlachthöfe etabliert, die wahnwitzige Preise und Mengen garantieren, damit einher ging eine Spirale der Optimierung bei Mitarbeitern und im Arbeitsprozess. Bei Bekanntwerden von Missständen gibt es immer wieder Demonstrationen oder Petitionen, aber was ändert sich wirklich? 

Wir stellen fest, dass die Medien, die sogenannte vierte Kraft in der Demokratie, sich immer weniger kritisch und leidenschaftlich mit den wichtigen Themen  auseinandersetzt, hinterfragt, aufdeckt und damit Politik bewegen kann. Vielleicht liegt es an den Marktmechanismen, die auch hier gelten, der Kampf um die Auflage. Doch es fragt sich, wer will noch etwas verändern? Lernen wir nichts aus dem was passiert?

Corona verändert alles

Dann kam Corona – kein Schnupfen wie jeder andere – aber ES verbreitet sich explosionsartig um die globale Welt, schneller als der Klimawandel, schneller als der Hunger oder die Armut in der Welt, schneller als Wirtschaft, Politik oder Bildung reagieren können. Es kommt zum Stillstand – zum Innehalten hier oder zu neuen Strategien im Umgang dort – wir wissen nicht, was richtig oder falsch ist. 

‘Corona’ entpuppt sich allerdings als Brennglas auf bekannte Missstände und ruft die Politik auf den Plan, außerdem wird der zunehmende Verlust von Selbstverantwortung sichtbarer. ‘Vielleicht haben wir zu wenig Krankenbetten’ und es wird kräftig Luft ins System geblasen, der weitere Wandel im Kranken- und Pflegesystem bleibt bisher unberührt. 

Schlachthöfe stehen auf einmal wegen den Arbeitsbedingungen im Fokus der Öffentlichkeit,  jetzt will die Politik durchgreifen, das Tierwohl und die Infragestellung des hohen Fleischkonsums bleiben erst Mal wieder auf der Strecke.

Angst lähmt nun viele Bereiche unseres Zusammenlebens, bei sozialen Kontakten, in der Bildung und in den Kindergärten, in den Pflegeeinrichtungen – mit Klatschen erhält man zwar  kurzfristig Anerkennung, aber das wird auf Dauer nicht helfen, denn überall ist ein Wandel gefordert. Inzwischen haben die Kultusministerien in 16 Bundesländern, 16 verschiedene Strategien mit Corona festgelegt, was offenbart, wie kläglich wir mit Bildung und Zukunft umgehen. 

Die Lage mobilisiert jetzt auch Menschen, die bisher sich weder politisch engagiert, noch irgendwie auffällig verhalten haben. Die einen demonstrieren Rechts mit Links oder mit Verschwörungstheoretikern. Einige für Freiheit, andere für Schule, wieder andere für das Leben mit den Sustainable Development Goals, den sogenannten Global Goals, die in der Mitte unserer Gesellschaft gelebt werden müssten, aber schon vor Corona kaum Beachtung gefunden haben, bis auf bei ‘Friday for Future.’ Das alles führt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft.

Übrigens: Gestern 22. August 2020 war Overshoot Day (Erdüberlastungstag) für Deutschland, d.h. ab heute sind alle Ressourcen der Erde verbraucht, die die Ökosysteme in einem Jahr erneuern können. Wir stoßen mehr CO2 aus, als alle Wälder und Ozeane aufnehmen können. Durch Corona machen wir “erst” 3 Wochen später Ökoschulden als 2019. 

[https://www.overshootday.org/]

Manche Wirtschaftsbereiche wie Hotel, Bars, Gaststätten, eine ganze Branche der Künstler leiden unter der jetzigen Situation, sie können zwar teilweise mit den staatlichen Hilfen eine Zeit überbrücken, aber sie erkennen aus eigenen Antrieb auch, dass sie neue Wege finden und neue Ideen ausprobieren müssen. Ob sie es überstehen, werden wir noch sehen, das hängt auch von unserer Gesellschaft, von uns und der Politik ab, wie sie nun die Zukunft und den Wandel in den Mittelpunkt stellt und wir alle daraus lernen.

Die Politik ist vor immer neue Herausforderungen gestellt, sie versucht zu schützen, zu erklären, sie sucht nach wirtschaftlichen Lösungen und ist gefordert mit der Dynamik mitzuhalten und mit den Bewertungen aus allen Richtungen umzugehen. Viele sind vielleicht mit der Komplexität überfordert und es fällt auf, dass das Unvermögen in der Zukunftsgestaltung in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Dieses Unvermögen zeigt sich besonders bei den Verantwortlichen, die die notwendigen Planungen demokratisch, transparent und mit einer Potentialentfaltung und Diversität in einem größeren Team angehen sollten, aber es nicht tun. 

Stattdessen werden immer mehr Vorschriften erlassen, Strafen aufgestellt, denn das hat früher schon funktioniert. Immer schneller werden neue Ziele formuliert, wie die Digitalisierung der Schulen, was aber dann doch die Kommunen und die Schulen letztendlich alleine organisieren und regeln müssen. Viele fragen sich, wo ist der Masterplan, welche Fachkompetenzen sind hier mit einbezogen? Wo ist der Abstimmungsprozess? 

Was können wir daraus lernen? Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die Vorstellung einer besseren Zukunft wird durch die Einbeziehung der Global Goals in der Mitte der Gesellschaft, der Wirtschaft und in der Bildung klarer werden. Diese 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung werden unser Leben positiv verändern.

Wir werden uns nun breiter vernetzen, Initiativen und Betroffene mit einbeziehen, um uns, mit einer gemeinsamen Verantwortung für unsere Zukunft auf den Weg zu machen und zwar alle zusammen.

Thomas Sattelberger sagte im Film ALPHABET 2013 (Link): “Die Verkürzung des Lebens auf die Ökonomie ist eine der schlimmsten Entwicklungen unserer heutigen Zeit.” Wir werden Menschen und Tiere wieder als Subjekte wahrnehmen und Strategien entwickeln, wie wir die eigene Selbstverantwortung, den Respekt und die gegenseitige Rücksichtnahme in unserer Gesellschaft wieder herstellen, die sich heutzutage so egoistisch konditioniert zeigt.

Matthias Horx schreibt: “Politik in ihrem Ur-Sinne als Formung gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten bekam in dieser Krise eine neue Glaubwürdigkeit, eine neue Legitimität.”

Reicht das wirklich aus? Muss die Politik und Wirtschaft nicht auch lernen, dass wir heute auf Grund wachsender Komplexität andere Strategien für Kommunikation und Entscheidungen brauchen und dass wir die Menschen mitnehmen müssen, ob beim Wandel im Verkehrswesen, in der Digitalisierung oder in ihrem Wohlergehen? Alles wird nur dann die Gesellschaft durchdringen, wenn die Potentiale von kompetenten Menschen und Betroffenen zur Entfaltung kommen und dann die besten Lösungen gefunden werden.

Dieses Neue Denken wird die Zukunft vor Augen haben und wir, mit Respekt und Augenhöhe, zu Gestaltern unseres Miteinanders werden. Führen ist nicht das gleiche wie Anordnen oder Aussitzen. Führen bedeutet, intelligent die Potentiale aller zu bündeln und gemeinsam Ziele umzusetzen. Wenn wir die Welt besser machen wollen, dann ist die Zukunft unserer 10 Mio Schülerinnen und Schüler und die der 1 Mio Lehrerinnen und Lehrer in den Mittelpunkt zu stellen und Bildung ist neu zu gestalten. In 16 Bundesländern wird eine klare Botschaft für ein Miteinander nötig, denn Lernen ist dann erfolgreich, wenn alle Lernenden, Begleitenden und Lehrenden Teil einer sozialen Gruppe sind, dann nennt man es Social Learning und nicht Home Schooling.

Dann können wir auch unsere sozialen und pflegerischen Einrichtungen in einem anderen Licht sehen. Wir werden Menschen, die Schutz benötigen, der gesellschaftlich organisiert werden muss, ob wegen Corona oder anderer Gefahren, intelligent schützen können. Wir werden Menschen, die in diesen Einrichtung arbeiten, mit Wertschätzung behandeln und bezahlen, auch Praktikanten.

Wenn wir, die Politik, die Wirtschaft und jeder Einzelne realisiert haben, dass unser Fortbestehen nicht vom Status Quo abhängt, sondern vom gemeinsamen Gestalten, wenn wir uns gegenseitig einladen, unsere Potentiale zu entdecken und in die Tat umzusetzen, dann wird Matthias Horx recht behalten, erst dann werden wir alle auch noch kommenden Krisen und Herausforderungen lösen und Transformationen erfolgreicher umsetzen.

Wenn allerdings elitäre Lösungsversuche, Gewinnsucht immer wieder in den Mittelpunkt rücken, werden diese Protagonisten die Resultate ihrer Bestrebungen kaum persönlich zu spüren bekommen, aber die breite Bevölkerung. Solche strategischen und individualistischen Fehlentscheidungen und Lösungsversuche hinterlassen wesentlich deutlichere Verletzungen, sie werden viel mehr kosten und werden neue Konditionierungen hinterlassen, die unser Leben und das Lernen weiter beeinträchtigen werden.

Und wer spricht noch über die Kunst? War und ist nicht Kunst und Musik eine Form von Kommunikation? Kunst und Musik kennt seit Jahrtausenden keine Grenzen, ist etwas für die Seele und ist zutiefst sozial wertvoll. Es stimmt schon, dass einige sagen: “Kunst ist nicht alles, aber ohne Kunst ist alles nichts.” Es stimmt allerdings auch: “Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden. Sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“ Joseph Beuys und Lernkultur Nürnberg.

Wir können aus der Krise der Gesellschaft lernen und die Transformation in vielen Bereichen jetzt umsetzen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Photo: Photocreo Bednarek (Adobe Stock) lizensiert